Ohne das Dresdner Hygiene-Museum hätte ich wohl nie von dieser Affäre gehört, die mindestens ein Jahrzehnt lang ab 1976 bestimmte Bürger, die am ehemaligen Eisernen Vorhang wohnten, etwas anbelangte. In der Sonderausstellung Luft. Eine für alle ist nämlich ein Schreiben vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl an den tschechoslowakischen Ministerpräsidenten Husák einzusehen, aus dem hervorgeht, dass die Affäre hochaufgehängt werden musste, als die Sorge um das Gemeinwohl einen klar ökologischen Anstrich erhielt. Unilateral ließ sich diese Sorge nicht aus der Welt schaffen.
Die sogenannte Katzendreckgestank-Affäre, bei der es konkret um die grenzüberschreitende, gesundheitsgefährdende Belastung durch Schwefeldioxid aus der Tschechoslowakei und der DDR ging, ist aber auch ein gutes Beispiel, wie bürgerschaftliches Engagement politische Vorgänge in Gang setzen kann. Ohne Medien und Presse – damals komplett offline – hätte es viel länger gebraucht, bis fernab in Bonn und Prag sowie in Ost-Berlin Politiker gehandelt hätten. Es dauerte bis zum Jahre 1987, bis ein bilaterales Umweltabkommen mit der Tschechoslowakei verabschiedet werden konnte. Mit der „deutsch-deutschen Geruchsbekämpfung“ ging es indes nicht schneller voran, wie der hervorragende Artikel von Bodo Mrozek und Doubravka Olšáková zu dieser Affäre beschreibt. 1989 schienen dann zumindest teilweise mit Fall des Eisernen Vorhangs diese grenzüberschreitenden Konflikte wie weggeblasen.
Dass die Benennung der Affäre einem Zitat eines Bürgers in einer Diskussionssendung des Bayrischen Rundfunks („Jetzt red‘ i“) zu verdanken ist, zeigt, dass kein investigativer Journalist etwas Anstößiges entlarvt hätte, wie es ja sonst oft bei Affären der Fall ist. Wie stark hier im Laufe der 1980er Jahre der wachsende Einfluss der Grünen (im Bundestag) mitentscheidend war, müsste man sicher separat untersuchen. Dass er vorhanden war, wird im Artikel deutlich, als noch einmal vom Begriff die Rede war:
Unter dem verniedlichenden Label „Katzendreck“ ließen sich Umweltprobleme ansprechen, ohne allzu sehr an Reizthemen der Grünen anzuschließen. Erst in den 1980er Jahren wurde das sensorische Problem zunehmend dem Abstraktum Umwelt zugerechnet, das sich etwa zeitgleich als Feld nationaler und internationaler Politik ausdifferenzierte und etablierte. Zuvor hatten alle Seiten das Thema Umwelt im Kontext des Kalten Kriegs oft absichtsvoll exterritorialisiert.
Interessant ist, dass das Thema Geruchsbelästigung hier sicher anders verhandelt wurde als in den Jahrzehnten zuvor im Ruhrgebiet. Dieses wird im Artikel nur am Rande erwähnt, weil vor allem durch das Schließen von Zechen und sicher auch durch technologischen Fortschritt die Geruchsbelästigung recht geräuschlos bis zu den 90er Jahren deutlich verringert werden konnte.
Als ich mich nämlich mit meinen Eltern im Juli 1990 Wernigerode besuchte, dachte ich, ich würde mich in einer anderen Geruchswelt befinden. Die Luft dort war völlig anders als die im nur wenige Kilometer entfernt gelegenen niedersächsischen Bad Harzburg, und auch im Ruhrgebiet zu jener Zeit. Es war, als ob die Luft sich auch an damals sich auflösende politische Grenzen gehalten hätte, was natürlich nicht stimmen kann. Und doch hängt die Wahrnehmung sehr stark von der lokalen Konzentration bestimmter Schadstoffe in der Luft ab.
Eine aktive Umweltpolitik ergibt nur dann Sinn, wenn sie länderübergreifend gesteuert wird. EU-Umweltrichtlinien und internationale Klimaschutzabkommen haben sicher dazu beigetragen, dass mühsame bilaterale Beratungen und Verhandlungen heute multilateral erfolgversprechender sind. Und doch stellt sich die Frage, ob nicht andere Erdteile für unsere ökologischen Anstrengungen indirekt herhalten müssen (Stichwort: Müllexporte). Hierzu gibt es eine detaillierte Berichterstattung der TU Dresden.
Wie gut, dass wir in unseren Breiten uns über sauberere Luft freuen können. Die zunehmende Zahl von Elektrofahrzeugen und strenge Abgasvorschriften sind ein Segen für die Gesellschaft, die gerade am Wochenende daraus einen hohen Nutzen zieht. Es ist wirklich selten geworden, sich über Geruchsbelästigungen zu beklagen. Zigarettenrauch hat sich ja auch quasi in (saubere) Luft aufgelöst. Doch wenn gerade im Sommer oder an windstillen Tagen allgemein über Feinstaubbelastung gesprochen wird, dann wird klar, dass im 21. Jahrhundert die Luft geruchsärmer, jedoch nicht an allen Orten gleichmäßig gut ist, wie man an Messdaten des Umweltbundesamtes erkennen kann. Und wie wir alle wissen, ist Klimaschutz eines der wichtigsten politischen (Kampf-)Begriffe geworden. Die Katzendreckgestank-Affäre hat bewiesen, dass ein langer Atem nötig ist, um komplexe Sachverhalte erst einmal näher zu bestimmen, ihre Ursachen und Symptome ausfindig zu machen und dann an der Verbesserung der Situation zu arbeiten. Es ist eine Fallstudie, mit der konkret Geschichte geschrieben wurde, ohne dass es ein prägendes Ereignis gegeben hätte.
Der erwähnte Artikel Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989, ist 2023 in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte (de Gruyter Verlag, Band 71) erschienen. Das längere Zitat steht auf Seite 347.