TÜV – Technischer Überwachungsverein – diese Abkürzung ist auch denjenigen vertraut, die (noch) gar kein Kraftfahrzeug besitzen. Alle zwei, spätestens alle drei Jahre steht ein TÜV-Termin an, denn immer noch lässt sich ein Motor mitsamt der Karosserie nicht selber überwachen. Es bedarf eines Ingenieurs, der die Technik überwacht.
Wie sieht es mit dem Smart Home aus, das nach dem Smart Phone schlau genug ist, sich selbst und zugleich den Nutzer zu überwachen? Während im Deutschen das Verb ‚wachen’ seit Jahrhunderten positiv konnotiert ist – man denke nur an die Nachtwache oder den Wachhund – , ist die Überwachung ein zweischneidiges Schwert. Eine Videoüberwachung mag den einen oder anderen Kriminalfall lösen, doch ist vielen unwohl, wenn wir auf Schritt und Tritt überwacht werden, gerade wenn ein Smartphone die Aufgabe einer Videokamera mehr als gut ersetzen kann. Hier ist ganz klar: Anders als beim TÜV überwacht das Gerät den Menschen und zeigt ihm im wahrsten Sinne des Wortes mögliche Fehltritte an. Theoretische Überlegungen zu diesem Thema wurden bereits genug angestellt – die Interaktion von Mensch und Maschine wird uns sicherlich die nächsten Jahrzehnte über begleiten.
Romanesk hat sich der Architekturkritiker und F.A.Z.-Redakteur Niklas Maak dem Phänomen Smart City gewidmet, was im Grunde das Weiterdenken von Smart Home ist, denn schließlich geht es darum, auch Häuser untereinander zu vernetzen, in dem der aufschlussreiche Datenfluss nirgendwo auf die eigenen vier Wände begrenzt wird:
In der autogerechten Stadt ging es darum, dass die Leute in Ruhe gelassen werden, in ihren Schlafburgen, auf dem Weg zur Arbeit, wohingegen es in der smartphonegerechten Start darum ging, dass alles mit allem in Kommunikation trat und der Bewohner, was man als Versprechen oder als Drohung lesen könnte, nie mehr allein war, sondern ständig Daten abgenommen bekam wie ein Patient in der Notaufnahme Blut und dass dieses neue Blut alle Informationen enthielt, die man brauchte, um die Körper und die Gefühle und die Begierden und die Ängste des Smartstadtbewohners nach Belieben zu steuern. Eine Wand bedeutete nichts mehr, sie war kein Schutz mehr und nur noch notwendig, um an ihr Sensoren anzubringen. Die Datenvampire hatten ganze Arbeit geleistet.
Der Roman Technophoria, aus dem dieses Zitat stammt, beschreibt dystopisch das Austesten und damit auch das reale Simulieren von Elementen einer Smart City.
Maaks Figuren bleiben ähnlich wie beschriebene Welten, die sich um den Globus spannen, seltsam blass. Turek, die Hauptfigur, ist ein Cheflobbyist einer Private Equity Firma, die Smart Cities testen und bauen lässt. Er findet im (Arbeits-)Leben keinen Halt und wird wohl absichtlich diffus gezeichnet; jedenfalls kann ich mir diese Figur kaum bildhaft vorstellen.
Niklas Maak scheut dabei nicht davor zurück, Kalamitäten zu schildern, die einer bissigen Tragikomödie gleichkommen. Als Leser scheint die literarische Welt schockgefroren zu sein; menschliche Wärme ist selbst in noblen Anwesen ein Fremdwort; selbst der Anblick von Frisuren erinnert daran, dass darin „eine unsichtbare Elektrizität zu fließen schien“. Überwachung per Videokamera ist omnipräsent. Immerhin kann man die Kamera noch mit Rasiercreme einschäumen und sie blind stellen, wie es Tureks Freundin Aura im angemieteten Ferienhaus in Portugal bewerkstelligt. Die menschliche (Er-)Schaffenskraft bleibt seltsam forciert, weil Geräte und nicht der Mensch selbst Entscheidungen erzwingen, so dass die Willensfreiheit kaum noch gegeben ist. Diese Grauzone resümiert Maak eindrucksvoll, als von einem Test-Roboter in der Verkleidung einer Androidin die Rede ist. Menschenähnliche Wesen erhalten in einem eigenen Kapitel namens „Roboter“ eine schaurige Bühne. Er legt dem japanischen Ingenieur, den Turek im fernen Osaka besucht, folgende Worte in den Mund:
Weißt du – ein Roboter ist nichts anderes als ein lebendigerer Spiegel, der uns zeigt, was wir wollen und wer wir sind. Es gibt etwas in unserem Gehirn, das aktiv wird, wenn man Trauer oder Freude bei anderen Menschen beobachtet, was es uns erlaubt, sich in jemand anderen hineinzuversetzen. Schon jetzt können Roboter von ihren Fehlern lernen. Bald werden sie in der Lage sein, auch ihre Programme zu hinterfragen, und Fehler der Programmierer zu korrigieren, ohne dass man sie dazu aufforderte. Und dann haben wir es mit einer neuen Natur zu tun.
In der Tat: Ein Roboter lässt tief blicken, umso mehr, wenn er hat ein gewisses Fehlerbewusstsein aufweist. Er hätte dann eine Einsicht, so wie wir auch Spiegel verwenden, um in unser Innerstes hineinzusehen. Wenn die Forschung es schaffen sollte, Nachdenken und Reflektieren vom menschlichen Gehirn abzukoppeln, wäre unser Geist entzaubert. Dann wären neue Geister aus der Taufe gehoben. Doch noch ist es (längst) nicht soweit: Solange der TÜV noch ansteht, überwacht sich die Technik noch nicht selbst. Solange wir mit dem Phänomen Risiko leben müssen, hat der Mensch paradoxerweise noch sein Leben in gewissem Maße unter Kontrolle. Ohne Risiko scheint er jedoch die Autonomie über seinen Lebensweg entscheidend zu verlieren. Wollen wir sie aufgeben, um von autonomen Technikgeistern geführt zu werden?
Das ARD-Kulturmagazin ttt besprach Technophoria im Sommer 2020. Das Buch ist im Hanser Verlag erschienen.