Jedes Gebäude und jeder Ort hat seine eigene Historie; Schicksale und glückliche Fügungen sind niemals in ihrer Gänze zu überblicken. Und doch lässt sich besonders gut in die Geschichte eintauchen, wenn Spuren und Hinterlassenschaften sichtbar sind.
Die Geschichte hat Schloss Waldenburg, idyllisch im Muldetal eine halbe Autostunde nord-östlich von Zwickau gelegen, immer wieder auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Hierzu nur einige Details: Otto Victor I. von Schönburg-Waldenburg ließ es Mitte des 19. Jahrhunderts neu errichten, da es zur damaligen Bürgerlichen Revolution komplett abgebrannt war. Bereits im 12. Jahrhundert hatte die Geschichte von Schloss Waldenburg begonnen, damals noch als Burg. Die Burg sowie nachfolgende drei Schlösser waren allerdings auch abgebrannt, zuletzt 1848. Otto Victor II. veranlasste Anfang des 20. Jahrhunderts mit der damals verfügbaren modernsten Technik den Umbau (Einbau von zentraler Heizung, Be- und Entlüftungsanlage, zentraler Staubsauger, Telefonanlage, Personen- und Speiseaufzug) und steigerte durch den Zukauf wertvoller Gegenstände die Pracht des Hauses. Der Hausherr fiel bedauerlicherweise im Ersten Weltkrieg und konnte sein Anwesen nur wenige Jahre genießen. Heute, kann man sagen, steht das Schloss glänzend da; es hat die Zeitläufte mehr als nur gut überstanden.
Ganz sicher: Ein typisches Museum ist Schloss Waldenburg nicht, denn es ist in seiner aktuellen Ausstattung besonders originell: Viele Zimmer entsprechen immer noch dem Zustand zur Zeit der Fürsten, obwohl das Schloss 50 Jahre lang als Klinik genutzt wurde. Das prunkvolle Originalmobiliar wurde zwar nach dem 2. Weltkrieg geplündert bzw. existiert teilweise noch an anderen Orten. Die Eigentumsverhältnisse haben sich über die Zeit leider geändert. Trotzdem versprühen die prachtvollen Zimmer noch heute den Charme fürstlicher Zeiten, ohne opulent zu wirken.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Schloss enteignet, was aus heutiger Sicht zu erwarten war. Dass es noch vor der Gründung der DDR zu einer Lungen- und Tuberkuloseheilanstalt umfunktioniert wurde, überrascht hingegen schon. Die für die neuen Machthaber ideologisch verhassten Räumlichkeiten wurden eigentlich geschätzt, denn wo im Umkreis hätte man geräumiger Patienten behandeln können? Eine Immobilie des Adels, die sich nun als nützlich erwies. Man könnte sagen: Ironie des Schicksals! Die Bibliothek wurde zum Chefarztzimmer, die prächtigen Säle zu Speisesälen. Eigentlich kein großes Unterfangen. Bis Ende der 1990er Jahre musste das Schloss sich bewährt haben; erst dann machten neue (Hygiene-)Vorschriften einen Weiterbetrieb unmöglich.
Als ich am Vatertag 2020 durch die Räumlichkeiten geführt wurde, ahnte ich schon, dass durch die Zimmerfluchten der Wind der widerspenstigen Geschichte wie ein Gespenst wehte. Die Fotos können dies veranschaulichen:
Und schließlich diente das Schloss auch als Kulisse: Dreharbeiten zu Wes Andersons The Grand Budapest Hotel fanden dort statt. Wer wohl das Schloss ausgekundschaftet haben mag? Diese Frage zu beantworten würde sicher einigen (Forschungs-)Aufwand bedeuten, doch eigentlich wäre dies müßig. Ich stelle mir diesen Job sehr zeitaufwendig vor, denn bei der Vielzahl der Schlösser sind Zufallstreffer eigentlich kaum zu erwarten. Dass ein US-amerikanischer Filmregisseur, der auf traumhafte Bilder in ästhetischer Vollkommenheit setzt, unter anderem das von Touristenmassen verschonte Schloss Waldenburg auserkoren hat, war eigentlich eine kluge Entscheidung, denn wenn ein größerer Teil des Publikums den fiktionalen Ort lokalisieren kann, dann kann dies wesentlich die Interpretation beeinflussen.
Insofern wurde Schloss Waldenburg als Schauplatz, ohne dass hier Feudales allzu sehr zum Tragen gekommen wäre: Ehemalige Patienten können aufgrund ihrer Erlebnisse vor Ort Dinge aufspüren, die weder ein Tourist noch ein Filmemacher je erkennen würde. Es geht hier nicht um einen Gedenk- oder Gedächtnisort, der oft auch eine gesellschaftspolitische Funktion hat, sondern um einen Ort zum Verweilen, der früher Hoffnung auf Heilung bot und heute Hoffnung auf Erholung bietet. Trotz der tragisch verlaufenen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bleibt mir das Prinzip Hoffnung im Kopf, wenn ich an Schloss Waldenburg denke.
Anmerkung: Das Schloss wurde als Filmkulisse durch die Listung des Schlosskomplexes Waldenburg im Location Guide der MDM Film Commission gefunden. Dort ist es seit November 2010 aufgeführt und stellt alle Spezifikationen (Fotogalerie, technische und räumliche Bedingungen) des Schlosses Waldenburg als Drehort umfangreich vor. Die Filmprojekte sind auf der Homepage aufgelistet.
Ich danke herzlich Anja Straube für einige redaktionelle Präzisierungen und für die Freigabe der Aufnahmen, die einen kleinen Eindruck der bewegten Geschichte von Schloss Waldenburg vermitteln sollen. Die Bildrechte liegen bis auf die Parkansicht (letztes Bild) beim Schloss Waldenburg (Tourismus und Sport GmbH) .
Seit Mai 2020 ist das Café Sweet Sophie geöffnet, das im Sommer auf einer herrlichen Terrasse einen Blick in den wunderschönen Park bietet, in dem der Besucher ein lauschiges Plätzchen finden kann. Der Name geht auf die musikalisch und kompositorisch aktive Fürstin Sophie von Waldenburg zurück, die ab 1914 auch Fürstin von Albanien war.