Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Schlagwort: Jazzmusik

Mischbatterie  Jazz – Über eine „Episode“ von Manfred Schmitz

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Es gibt Fragen, die sich einfach nicht beantworten lassen, aber trotzdem sinnvoll artikuliert werden können. Zum Beispiel: Wer spielte wo in den 1980er Jahren einige der 22 Stücke, die der an der Weimarer Musikhochschule lehrende Klavierpädagoge Manfred Schmitz (1939 – 2014) im Deutschen Verlag für Musik Leipzig um 1984 unter dem Titel Romantisches Intermezzo veröffentlichte?

Etwas irreführend ist der Titel schon, denn in engerem Sinne ist nur ein Stück als solches bezeichnet. Der Singular verweist in der Welt der Musik auf ein kurzes Zwischenspiel; außerhalb der Musik könnte man bei einem Intermezzo auch von einem Zwischenfall sprechen, der Heiterkeit auf sich gezogen hätte.

Für eine Stückesammlung klingt es jedoch überzeugend: Denn der Geist der Kompositionen (u.a. ist ein Lullaby, eine Berceuse und eine Barcarole enthalten) speist sich aus romantischen Vorstellungen, Ideen, Gedanken etc.; und bei einem Intermezzo kann man ja auch an den Zeitraum denken, in dem das eine oder andere Stück vorgetragen wird.

Ein Stück aus der Sammlung, das ich neulich vorspielen durfte, heißt Episode, was sich ebenfalls als Zwischenspiel bezeichnen lässt. Insofern erfüllt es ganz und gar den Gedanken eines Intermezzos. Faszinierend ist, wie Manfred Schmitz besonders in diesem kurzen Stück dem Klavierschüler die Klangwelt des Jazz näherzubringen wusste. Anschaulich mag dies durch das Notenbild erscheinen:

Auszug aus "Episode", aus: "Romantisches Intermezzo" von Manfred Schmitz
Takte 9 – 21 des Stücks Episode, aus: Romantisches Intermezzo (22 Stücke für Klavier), Deutscher Verlag für Musik Komponist: Manfred Schmitz

Mir geht es um letzten sechs Takte des Stücks. Heutzutage sind die darin enthaltenen Akkorde kein großes Kino mehr; man würde sie leicht überhören, weil wir in der Öffentlichkeit mit ihnen vertraut sind. Doch in einem Land wie der DDR, wo die immer stärker Jazzszene toleriert wurde, doch auch mit Hindernissen zu kämpfen hatte, müssen diese Klänge außergewöhnlich wahrgenommen worden sein, gerade wenn man die Klangwelt eines Klaviers näher kennenlernen wollte. Jeder Akkord in diesen sechs Takten ist von solcher Schönheit, dass man jeden einzelnen wiederholt anschlagen und sich dabei ein Stimmungsbild ausmalen könnte. Auf mich wirken die Harmonien, die unklaren Charakters sind, in ihrer Zusammen-stellung verzaubernd, auch weil sie nicht abstrakt oder verkopft aufgenommen werden. Die Spielanweisung dolce zeigt, dass man die Töne gleichzeitig laut und möglichst zart anschlagen soll. Zusammen mit dem geforderten Tempo rubato (88 Viertel-Schläge pro Minute) bedeutet dies ein gewisses Auskosten der Töne, also eine gewisse Verlängerung leicht akzentuierter Viertelnoten aus interpretatorischen Gründen, wobei dann zum Ausgleich einzelne weitere Noten auch verkürzt gespielt werden sollten, um das Tempo insgesamt nicht zu verschleppen.

Auch hier passt wiederum der Intermezzo-Gedanke, da es auf das Dazwischen der Akkorde ankommt. Mein Jazzklavier-Lehrer sprach kurzerhand von „zwischengeschlechtlichen“ Akkorden, eben weil sie nicht glasklar einer Harmonie zugeordnet werden können und zwei Harmonien (eine in der linken und eine in der rechten Hand) verknüpft werden. Der erste Akkord in Takt 16 verbindet einen G-Dur-Septakkord mit einem A-Moll-Septakkord. Und wenn Dur und Moll zeitgleich aufeinanderprallen, dann vermischt sich die Klangpalette so sehr, dass man in einer Art Gefühls-Zwischenraum verharrt, in der die Unklarheit zum Ausdruck kommt. Gleichsam wie in einer Episode, die merkwürdig ohne eindeutiges Fazit, also ohne: „Lange Rede  – kurzer Sinn!“ in Erinnerung bleibt.

Manfred Schmitz muss ein sehr interessanter Klavierpädagoge gewesen sein. Wenn ich das Romantische Intermezzo Anfang der 90er Jahre erhalten hätte, dann hätte ich wohl noch länger Klavier geübt. Und ich hätte gelernt, dass jazzige Elemente auch Teil eines romantischen Musik-Universums sein können und eine Trennung zwischen Jazz und Klassik wenig Sinn ergibt.

In diesem Sinne ist Romantisches Intermezzo eine wunderbare Entdeckungsreise für das Gehör, während sich gewisse technische Fähigkeiten nebenbei entwickeln lassen. Pädagogisch äußerst reizvoll, auch noch im 21. Jahrhundert!

Hintergrundinformationen zur DDR-Jazzszene gibt es auf einer mdr-Seite. Bei Breitkopf und Härtel kann man die Stückesammlung bestellen. Eine Interpretation der Episode von Juliane Steinwachs-Zeil gibt es hier. You-Tube-Video Näheres zu Manfred Schmitz gibt es in der Neuen Musikzeitung.

„Ich – König“  – Zu einem besonderen Klaviergespräch

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Das Sächsische Mozartfest bietet keinesfalls nur einen Fokus auf die Wiener Klassik, also auf das späte 18. Jahrhundert. Es wagt auch einen Blick über den ästhetischen Tellerrand hinaus. Ich staunte nicht schlecht, als ich erfuhr, dass der Jazzkomponist Stephan König nicht nur auf diesem Fest musizieren, sondern auch den Mozartpreis 2024 von der Sächsischen Mozart-Gesellschaft) bekommen würde.

Stephan König ist wohl nur eingeweihten Jazzenthusiasten ein Begriff. Als ich 2021 in einem großen Leipziger Notenladen unweit des Gewandhauses den Band 12 Préludes. Jazzinspirierte Klangbilder entdeckte, war mir bewusst, dass sie für mich, der ich in meinen Jugendjahren kaum mit dem Jazz in Berührung kam, eine große Herausforderung bieten würden. Ohne meinen Lehrer Thomas Unger am Zwickauer Robert-Schumann-Konservatorium eine allzu schwere Hürde. Die Stücke sind durch eine ungeheure Klangvielfalt gekennzeichnet; zumindest klingen einzelne Takte immer wieder anders, je nach eigener Stimmung. Sie zeigen Königs Anspruch, Komposition und Improvisation miteinander zu verbinden, ebenso wie verschiedene Genres der Klaviermusik. Um puristischen Jazz handelt es sich also nicht.

Ein Klaviergespräch wie Anfang Mai verbindet Musik und eine gewisse Neugier auf Hintergrundinformationen über eine Komposition bzw. einen Komponisten.  Die Halle der Villa Esche, am Rande des Chemnitzer Stadtzentrums, 1903 für den Textilunternehmer Rudolf Esche fertiggestellt und nach mehrjähriger Renovierung  um die Jahrtausendwende als Veranstaltungs- und Tagungsort konzipiert, eignet sich hervorragend für ein solches Gespräch, das eine Ausprägung von Salonkultur ist.  Gut möglich, dass der Architekt Henry van de Velde auch schon an diese Möglichkeit gedacht hatte. Weniger intim als in einem beengten Wohnzimmerkonzert können die Klänge sich leicht in die oberen Etagen verflüchtigen. Für Gesang und Instrumentalmusik ergeben sich hier sicher besondere akustische Phänomene.

Die MDR-Radiomoderatorin Julia Hemmerling leitete souverän und unterhaltsam das Gespräch. Die Fragen führten angenehm in ein Universum hinein, das eigentlich nicht in Worte zu fassen ist. Die Stimmung ist, wie wir wissen, vom Gebäude abhängig, und damit auch die Harmoniefolge: Die Villa-Esche sei für den A-Dur-Dreiklang prädestiniert, wenn man König Glauben schenkt. Faszinierend. Der Laie kann hier keine Erklärung verlangen, genauso wenig wie bei Farbstimmungen. Es gelten hier nicht die Gesetze der Logik, sondern allein die Gefühle, die von Ort zu Ort unterschiedlich sind.   

Man kann jedoch das Ephemere der Musik begreifen, denn genauso schnell wie sie entsteht, verschwindet sie auch. Im Moment des Klangs gebe es laut König eine Spannung, die auch den „Aspekt des Loslassens“ impliziert, also eine Entspannung.

Im zweiten Gesprächsteil erzählte Stephan König von seinem Studium an der Leipziger Hochschule für Musik, wo er laut Homepage als „Diplom-Dirigent, Diplom-Pianist und Diplom-Komponist“ abschloss, und von seinem Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee kurz vor und während der Wendezeit. Widerstände gegen seine Art des Musizierens spürte er während des Studiums, gerade weil er an der Hochschule öfters statt der vorgesehenen Stücke improvisierte. Gerettet habe ihn in der Kaserne der Zugang zu einem Klavier in einem Dachzimmer, wohin er sich nachts geschlichen habe.

In seinen Improvisationen baute er an dem Abend jeweils einen der drei Sätze des 23. Klavierkonzerts (in A-Dur) von W.A. Mozart ein. Ein kühnes Unterfangen, das mich an das Schumannfest 2023 erinnerte, auf dem Johanna Summer während ihres Solo-Konzerts Kompositionen von Robert Schumann in ihr Werk einflochte.

Im Programmheft ist die Rede davon, dass Stephan Königs Klangwelten einen  „Perspektivwechsel des Hörens, somit des Denkens und Empfindens“ ermöglicht. Im Moment des Live-Erlebnisses wird diese eher plakative Formulierung plastisch. Sicherlich werde ich im Laufe des Jahres einen weiteren Ort mit neuen König-Momenten aufsuchen. Und dann werde ich auch wieder anders hören, denken und empfinden. Und womöglich etwas besser improvisieren können….

Drei Préludes von Stephan König können auf seiner Homepage angehört werden. Die Einspielung kann im Online-Musikalienhandel erworben werden, die dazugehörigen Noten über stretta-music.

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