Es kommt nicht häufig vor, dass im Deutschen Bundestag ein Wort verwendet wird, das aufgrund seines dialektalen Charakters einer Übersetzung bedarf. Ende November 2023 war dies der Fall: Der FDP-Abgeordnete Stephan Seiter brachte eine schwäbische Kostprobe in den Berliner Plenarsaal ein. Im Kontext einer eher drögen Debatte zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes wirkte diese inklusive der Übersetzung so überraschend platziert, dass ich als Zuschauer aufhorchte und sogleich ins Protokoll schaute. Darin ist folgendes festgehalten:
Genau das ist der Punkt, an dem wir ansetzen müssen, und darüber müssen wir diskutieren. Es ist doch besser, wir diskutieren darüber – auf Schwäbisch gesagt; das muss ich jetzt einfach sagen – a Muggaseggele länger, also ein klein wenig länger, als im Nachhinein wieder Flickschusterei betreiben zu müssen. Denn das hat das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in der Vergangenheit schon erfahren, und das hat den jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nichts genutzt. Deswegen nehmen wir uns diese Zeit. Wir klären diese Punkte.
Laut einem schwäbischstämmigen Freund bedeutet ‚muggaseggele’ eine „Kleinigkeit“ bzw. eine „Petitesse“. Nach dem Protokoll zu urteilen kann man es auch adverbiell für eine Präzisierung eines weiteren Adverbs, in diesem Fall „länger“ verwenden.
Klare Sache: Außerhalb von Schwaben wird man das Wort kaum kennen können: Drei von mir befragte Gesprächsteilnehmer aus meiner Familie konnten damit nichts anfangen, doch der Klang des Wortes kann nur erheiternd wirken!
Laut der Duden-Redaktion ist das Wort muggaseggele als ‚Schwabens kleinste Einheit’ im Gebrauch und soll im Duden Aufnahme finden! Dabei erfährt der Leser Folgendes: „Das Muggaseggele bezieht sich auf das Geschlechtsorgan der männlichen Stubenfliege, die im schwäbischen Dialekt als Mugg bezeichnet wird.“
Schließlich fand ich bei einer kurzen Internet-Recherche heraus, dass die Firma Explorer Coffee GmbH edlen Kaffee unter der wohlklingenden Bezeichnung muggaseggele Perlbohne vermarktet. Da konnte ich nicht widerstehen und bestellte online. Ich bin schon sehr auf das Geschmackserlebnis gespannt!
Gut möglich, dass ich als Nicht-Schwabe bei diesem Produkt ein Ausreißer-Kunde bin, der bewusst aus Spaß an der Produktbezeichnung zugeschlagen hat. Und dann auch noch die anschließende Bezeichnung Perlbohnen…Ein Tchibo-Wiki klärt über deren Besonderheiten auf: Mild im Geschmack, rundlich in der Form, so könnte man sie kurz umreißen.
Prof. Dr. Stephan Seiter, der übrigens eine VWL-Professur an der European Business School in Reutlingen innehat, bescherte mir jedenfalls mit der Dialektperle eine Freude. Es sei erwähnt, dass sein Redebeitrag sehr sachlich und ausgewogen formuliert ist. Die Abwägung bei befristeten akademischen Tätigkeiten besteht allgemein darin, dass einerseits genügend Qualifikationsmöglichkeiten für Wissenschaftler, andererseits auch eine überdurchschnittliche Fluktuation ermöglicht werden soll. Je mehr Stellen unbefristet sind, desto weniger einfach sind akademische Jobs für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu besetzen. Doch oft sind „Mittel Dritter“, wie es in § 2 Absatz 2 des Gesetzes heißt, ein Grund für eine Befristung, die grundsätzlich so lange gilt, bis Eigenmittel gefunden werden oder die Drittmittel nicht mehr fließen. Es kann also sein, dass eine Stelle aufgrund fehlender finanzieller Ressourcen trotz Bedarf ausläuft. Von Fluktuation kann hier keine Rede sein.
Ein wesentlicher Punkt der Gesetzesnovellierung, die sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag 2021 festgeschrieben hat, seien Mindestvertragslaufzeiten bei einer Befristung. Noch müssen Details dazu diskutiert werden, wobei die Wichtigkeit der Diskussion von Prof. Seiter hervorgehoben wird, um nicht später von einer unausgereiften Gesetzesänderung sprechen zu müssen. Ich bin gespannt, ob sich die Diskussionen gelohnt haben werden. Das Thema „Befristungsquoten“ in der Wissenschaft, das gesetzlich nicht geregelt ist, kam auch zur Sprache. Hier ist die Faktenlage ernüchternd: Im Jahr 2020 waren mehr als 60% promovierte und mehr als 90% nicht-promovierte Wissenschaftler befristet beschäftigt. Abwarten und Tee, nein Perlbohnen-Kaffee trinken, um zu erfahren, ob die Befristungsquoten in der Zukunft gesenkt werden können!
Die Rede von Prof. Seiter am 29.11.23 kann in einem Video noch mal angeschaut werden.
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