Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Monat: Februar 2025

Der Ja-Impuls bei der Lufthansa

Beitrag oben halten

„Jede Geschichte beginnt mit einem Yes.“ Mit diesem Slogan thematisiert die Lufthansa sehr schön Storytelling, das wohl jedes Traditionsunternehmen gewinnbringend einsetzen kann.  Das Filmmaterial– alles andere als ein aalglattes Imagevideo – konnte ich sogar für eine Klausur in diesem Wintersemester verwenden.

Es werden die Abenteurer, die Romantiker, die Sportler, die Künstler und auch Kinder in familiärer Obhut in zweieinhalb Minuten angesprochen. Ohne Kitsch, weil eben nicht das Dauer-Lachen von Fahrgästen gezeigt wird, sondern Entscheidungsmomente oder nervenaufreibende Augenblicke.   Das „Ja“ wird als Zustimmung muss nicht unbedingt positive Emotionen auslösen, gerade wenn es um das Loslassen, den „Neustart“ geht, und zwar nicht nur auf Beziehungsebene. Die Bejahung eines Schritts zeugt von einem gewissen Handlungswillen. Und genau da kann eine Fluggesellschaft ansetzen. Die meisten Reisen finden in unseren Breiten freiwillig statt. Und nach dem Ende der Covid-Pandemie ist die Reiselust (wieder) ungebrochen, auch um Verpasstes nachzuholen. Doch gibt es globalisierungskritische Tendenzen, die dem Flugverkehr nicht in die Karten spielen. Insofern setzt der Film auch klare Zeichen: Es wird mit wenigen Worten auf Deutsch und Englisch (mit deutschen Untertiteln) das Wörtchen „Ja“ / „Yes“ in den Vordergrund gestellt, und zu diesem Ja-Sagen gesellt sich nicht selten eine Reiseaktivität.

Besonders ist, dass in diesem Film keine Geschichte so richtig erzählt, sondern eher angedeutet wird. Auch wird kein Inhalt stark personifiziert, was im Zeitalter des Influencer-Marketing bemerkenswert ist. Statt Personennamen werden die Codes von Sitzplätzen einzelnen handelnden Personen zugordnet, was auch ein geschickter Schachzug ist: Denn gerade im Kontext eines Flugs bleiben eher bestimmte Typen in Erinnerung und weniger das Individuum mit seiner eigenen Geschichte.

Die Klammer in diesem Unternehmensfilm bilden zwei Fahrgäste, die in Comic-Form die Storyline erstellen. Sie werden auch als Erzähler eingesetzt und am Schluss gezeigt:

Lufthansa-Unternehmensfilm
Kreative Storyline im Content-Marketing-Film der Lufthansa (Screenshot bei 2min16sek)

Die Beschreibung wird also medial auf zwei unterschiedlichen Kanälen vorgenommen: Einmal in Form einzelner, sehr kurzer Videosequenzen, und einmal in aufgezeichneter Form auf Papier.

Der Sitz 10 A steht für den Sprung in die filmisch-literarische Kunstwelt, von der zu Anfang des Films die Rede war, als die auf diesen Sitz gebuchte Passagierin im Flugzeug zu einem Casting (oder einem Vorstellungsgespräch) anreiste. Auf der Homepage, unterhalb des eingebetteten Youtube-Videos,  heißt es dazu:

Die Welt, meine Bühne. Yes! (…) Ob Sie selbst von den Brettern, die die Welt bedeuten, träumen oder auf den Spuren filmischer Legenden wandeln möchten: Machen Sie sich startklar – die ganze Welt ist Ihre Bühne.

Mit einem Klick auf den Button „Zum Film. Yes“ werden dazu passende Reiseziele vorgeschlagen: Dubrovnik, Boston, Tunis, Oslo, London, Malta. Bühnenreife Orte also, zum Beispiel: „Kaum eine Stadt ist so sehr mit berühmten Fantasy-Serien verbunden wie Dubrovnik.“

Der klassische Städtetourismus wird hier nicht mit realen Sehenswürdigkeiten beworben, sondern mit der Kulissenhaftigkeit, derer sich die Filmindustrie bedient. Man soll also die Orte aufsuchen, die bereits in einem fiktionalen Produkt enthalten sind. Die vor Ort gelebte Kultur mit all ihren Besonderheiten erscheint weniger relevant als der Rahmen, der für mehr Emotionen sorgen kann als die Essenz des Reiseziels, die gerade bei Kurztrips sowieso kaum erspürt werden kann. Es geht mehr um die persönliche „Storyline“ des Reisenden, die auf Social-Media-Kanälen über geschickt gepostete Bilder auch gut dargestellt werden kann.

Der Film ist zusammen mit dem Textmaterial ein hervorragendes Beispiel für Reisemotivationen des 21. Jahrhunderts. Die Flugziele sind natürlich konkret, doch bewusst vage gehalten sind Personen und Orte. Zuschreibungen zu Personen und Orten füllen die Fantasie des potenziellen Fluggastes.   

Wer wird bei dieser Auswahl nicht mindestens ein Ziel finden, an welches man gerne einmal mit einem Lufthansa-Flug schweifen möchte?

Der Film lässt sich hier anschauen.  

Mischbatterie  Jazz – Über eine „Episode“ von Manfred Schmitz

Beitrag oben halten

Es gibt Fragen, die sich einfach nicht beantworten lassen, aber trotzdem sinnvoll artikuliert werden können. Zum Beispiel: Wer spielte wo in den 1980er Jahren einige der 22 Stücke, die der an der Weimarer Musikhochschule lehrende Klavierpädagoge Manfred Schmitz (1939 – 2014) im Deutschen Verlag für Musik Leipzig um 1984 unter dem Titel Romantisches Intermezzo veröffentlichte?

Etwas irreführend ist der Titel schon, denn in engerem Sinne ist nur ein Stück als solches bezeichnet. Der Singular verweist in der Welt der Musik auf ein kurzes Zwischenspiel; außerhalb der Musik könnte man bei einem Intermezzo auch von einem Zwischenfall sprechen, der Heiterkeit auf sich gezogen hätte.

Für eine Stückesammlung klingt es jedoch überzeugend: Denn der Geist der Kompositionen (u.a. ist ein Lullaby, eine Berceuse und eine Barcarole enthalten) speist sich aus romantischen Vorstellungen, Ideen, Gedanken etc.; und bei einem Intermezzo kann man ja auch an den Zeitraum denken, in dem das eine oder andere Stück vorgetragen wird.

Ein Stück aus der Sammlung, das ich neulich vorspielen durfte, heißt Episode, was sich ebenfalls als Zwischenspiel bezeichnen lässt. Insofern erfüllt es ganz und gar den Gedanken eines Intermezzos. Faszinierend ist, wie Manfred Schmitz besonders in diesem kurzen Stück dem Klavierschüler die Klangwelt des Jazz näherzubringen wusste. Anschaulich mag dies durch das Notenbild erscheinen:

Auszug aus "Episode", aus: "Romantisches Intermezzo" von Manfred Schmitz
Takte 9 – 21 des Stücks Episode, aus: Romantisches Intermezzo (22 Stücke für Klavier), Deutscher Verlag für Musik Komponist: Manfred Schmitz

Mir geht es um letzten sechs Takte des Stücks. Heutzutage sind die darin enthaltenen Akkorde kein großes Kino mehr; man würde sie leicht überhören, weil wir in der Öffentlichkeit mit ihnen vertraut sind. Doch in einem Land wie der DDR, wo die immer stärker Jazzszene toleriert wurde, doch auch mit Hindernissen zu kämpfen hatte, müssen diese Klänge außergewöhnlich wahrgenommen worden sein, gerade wenn man die Klangwelt eines Klaviers näher kennenlernen wollte. Jeder Akkord in diesen sechs Takten ist von solcher Schönheit, dass man jeden einzelnen wiederholt anschlagen und sich dabei ein Stimmungsbild ausmalen könnte. Auf mich wirken die Harmonien, die unklaren Charakters sind, in ihrer Zusammen-stellung verzaubernd, auch weil sie nicht abstrakt oder verkopft aufgenommen werden. Die Spielanweisung dolce zeigt, dass man die Töne gleichzeitig laut und möglichst zart anschlagen soll. Zusammen mit dem geforderten Tempo rubato (88 Viertel-Schläge pro Minute) bedeutet dies ein gewisses Auskosten der Töne, also eine gewisse Verlängerung leicht akzentuierter Viertelnoten aus interpretatorischen Gründen, wobei dann zum Ausgleich einzelne weitere Noten auch verkürzt gespielt werden sollten, um das Tempo insgesamt nicht zu verschleppen.

Auch hier passt wiederum der Intermezzo-Gedanke, da es auf das Dazwischen der Akkorde ankommt. Mein Jazzklavier-Lehrer sprach kurzerhand von „zwischengeschlechtlichen“ Akkorden, eben weil sie nicht glasklar einer Harmonie zugeordnet werden können und zwei Harmonien (eine in der linken und eine in der rechten Hand) verknüpft werden. Der erste Akkord in Takt 16 verbindet einen G-Dur-Septakkord mit einem A-Moll-Septakkord. Und wenn Dur und Moll zeitgleich aufeinanderprallen, dann vermischt sich die Klangpalette so sehr, dass man in einer Art Gefühls-Zwischenraum verharrt, in der die Unklarheit zum Ausdruck kommt. Gleichsam wie in einer Episode, die merkwürdig ohne eindeutiges Fazit, also ohne: „Lange Rede  – kurzer Sinn!“ in Erinnerung bleibt.

Manfred Schmitz muss ein sehr interessanter Klavierpädagoge gewesen sein. Wenn ich das Romantische Intermezzo Anfang der 90er Jahre erhalten hätte, dann hätte ich wohl noch länger Klavier geübt. Und ich hätte gelernt, dass jazzige Elemente auch Teil eines romantischen Musik-Universums sein können und eine Trennung zwischen Jazz und Klassik wenig Sinn ergibt.

In diesem Sinne ist Romantisches Intermezzo eine wunderbare Entdeckungsreise für das Gehör, während sich gewisse technische Fähigkeiten nebenbei entwickeln lassen. Pädagogisch äußerst reizvoll, auch noch im 21. Jahrhundert!

Hintergrundinformationen zur DDR-Jazzszene gibt es auf einer mdr-Seite. Bei Breitkopf und Härtel kann man die Stückesammlung bestellen. Eine Interpretation der Episode von Juliane Steinwachs-Zeil gibt es hier. You-Tube-Video Näheres zu Manfred Schmitz gibt es in der Neuen Musikzeitung.

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén