Der Notiz-Blog, der sich gewaschen hat

Monat: August 2024

Die Technik als Störenfried

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Der Zwickauer Kornmarkt eignet sich gut für politische Kundgebungen der kleineren Art. Nicht zu groß und vor allem nicht zu belebt – da können Redner jedweder Couleur sich Aufmerksamkeit verschaffen.

Am 19.08. besuchte der deutschlandweit recht bekannte CDU-Politiker Wolfgang Bosbach Zwickau. Da mein Büro an der Westsächsischen Hochschule direkt am Kornmarkt liegt, hatte ich nur wenige Schritte zu laufen, um seinen Ausführungen zu lauschen.

Zuvor hatte ich gegen 18 Uhr Herrn Bosbach schon gesehen, als er im Restaurant No.9 (im First Inn Hotel) allein zu Abend aß. Dabei hatte ich mich gefragt, ob einem Politiker vor einem Auftritt Gesellschaft zuträglich ist oder nicht. Es schien mir jedenfalls, dass meine Gegenwart ohne Anliegen, durchaus erwünscht war. Bosbach hatte tiefgestapelt: Ob überhaupt jemand kommen werde? Eine Person verlor sich halb sieben auf den Zuhörerplätzen.

Als es um 19 Uhr losging – oh Wunder! – waren alle ca. 30 Plätze gefüllt:

Bosbach in Zwickau
Wolfgang Bosbach zu Gast in Zwickau, 19.08.24

Leider wollte die Mikrofonanlage einfach nicht mitmachen – Aussetzer en masse, schrille Töne! Man hatte den Eindruck, dass ohne veritable Störer ringsum (welch ein Segen, dass Protest-Trommler auf ihrem montäglichen Umzug durch Zwickau nur wenige Minuten kurz vor 19 Uhr am Ort vorbeizogen, ohne wiederzukehren.) die Technik der eigentliche Störenfried war.

Gerald Otto, der gastgebende CDU-Landtagsabgeordnete, beging gleich mehrere Fauxpas. Der eindeutigste kam gleich zu Beginn, als sofort aus dem Publikum klargestellt wurde, dass der Nachname des Gastes mit einem offenen ‚o’ und keinem geschlossenen auszusprechen sei.

Das vorwiegend ältere Publikum lauschte andächtig dem Gespräch, das deutlich besser gewesen wäre, wenn es ein Journalist geführt hätte. Es ist nicht trivial, gute 60 Minuten einen Dialog zusammen mit anschließenden Fragen aus dem Publikum zu steuern. Dass thematisch die Migrationspolitik aufgetischt wurde, war wichtig, weil sie vielen auf den Nägeln brennt. Bosbach Wunsch ist, ein gutes Verhältnis aus „Humanität“ und „Ordnung“ hinzubekommen. Das klingt überzeugend. Nur ist es einfach kaum möglich gewesen, seit 2015 für „Ordnung“ zu sorgen, weil es mit dem Grundsatz der Humanität schwer vereinbar gewesen wäre, zumindest Anfang September 2015, als EU-Recht nicht von allen EU-Staaten eingehalten wurde.  Auch die Pandemie hat gezeigt, dass die Vielzahl der Schutzverordnungen, die ja zum Ziel haben sollten, möglichst geordnet für den Schutz der Gesundheit vieler Menschen zu sorgen, höchst tückisch in ihrer Anwendung sein kann. 

Eine Dame aus dem Pubikum fragte, ob die Politik vorhabe, das Bargeld ganz abzuschaffen. Damit würde ja ältere Menschen endgültig abgehängt. Bosbach antwortete klug, dass es niemand vorhabe. Dass größere Transaktionen in bar auch Geldwäsche erleichterten, war ein erhellender Punkt. Kartenzahlungen sind öfter transparenter, doch natürlich ist auch das Freiheitsargument gewichtig: Nicht jede Geld-Transaktion soll in den Augen mancher Kunden rückverfolgbar sein können.

Auch ging es in der Diskussion um allgemeine Auffälligkeiten, wie die unsachliche Abwertung des politischen Gegners, die zum Glück nicht zu den Handlungen von Bosbach gehört. Sein sachlicher Ton ist immer wieder auch mit humorigen Einlagen versehen, die eher auflockern als versteifen.  So vermeidet man ein gereiztes Klima, das nicht weiterführend ist. Wer so wie Bosbach nicht mehr in Amt und Würden ist, kann auch sicherlich etwas gelassener auf die geleistete Arbeit und auf die sicher herausfordende Zukunft in der deutschen Bundespolitik und in der sächsischen Landespolitik schauen. Seine Bundestagsmandate hat er oft mit traumhaften Wahlergebnissen gewinnen können. Hier ist die Erfolg-Sicherheit im Hinblick auf die Vergangenheit spürbar: Erfolge dienen auch der Souveränität im politischen Handeln.

Was das Foto schön zeigt, bleibt die Monobloc-Bestuhlung genauso kultig wie der VW Bulli! Diese kultige Kombination wird mir ganz sicher in Erinnerung bleiben!

Erscheinungsbilder: Gedanken zu Otl Aichers Werk

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‚Erscheinungsbild’ ist ein wunderbares Wort, das meiner Großmutter noch wenige Monate vor ihrem Tod über die Lippen ging, als sie mich kaum noch erkannte. Uns erscheinen ja auch mentale Bilder, erst recht im Traum.

Zum Jahreswechsel 2022 / 2023 besuchte ich in der Städtischen Galerie Lüdenscheid eine Ausstellung mit dem schönen Titel „Ökonomie der Gestaltung“ zu Otls Aichers Werk, das sich nicht einfach in einem Museum präsentieren lässt. Es gab keine großen Grafiken oder Gemälde anzuschauen, vielmehr Logos, Piktogramme und auch Design-Formen. Viel gibt dies auf den ersten Blick nicht her, doch wenn man sich einen Kunstband aus dem Prestel-Verlag besorgt und dazu noch Aufsätze von einer hervorragenden Homepage zu Gemüte führt, dann wird klar, dass Otl Aicher (1922-1991) die Designgeschichte in Westdeutschland entscheidend mitgestaltet hat. Die Piktogramme zu den Olympischen Spielen in München 1972 und das ZDF-Erscheinungsbild von den frühen 1970er Jahren bis etwa zur Jahrtausendwende stammen aus der Denk-Fabrik von Otl Aicher im schönen Allgäu, genauer gesagt aus dem Weiler Rotis, wo er auch die gleichnamige Schrift entwickelte. Akademisch wirkte Aicher an der Hochschule für Gestaltung in Ulm als deren Gründungsmitglied (u.a. zusammen mit seiner Ehefrau Inge Aicher-Scholl, der Schwester von Sophie Scholl) von 1953 bis zur Auflösung der Hochschule 1968.  Den aus den Vereinigten Staaten stammenden Begriff ‚Visuelle Kommunikation’ nutzte Aicher in Deutschland als einer der ersten, vielleicht sogar als allererster. Tragischerweise verstarb Aicher 1991 an den Folgen eines Unfalls, der sich auf der Straße nach Rotis am Rande seines Grundstücks ereignete.

Wenn sich Großveranstaltungen und ein Fernsehsender auf ein gewisses Erscheinungsbild einigen, dann ist der Umsetzungsprozess eindeutig vielschichtiger als nur die Entwicklung eines „Corporate Design“. Schließlich geht es ja um mehr als eine Bildmarke und eine einheitliche Schriftart. Zwei Gedanken dazu mögen erhellend sein. Sie zeigen, dass es hier wirklich auch um etwas Brauchbares geht.

Der eine Gedanke stammt von aus dem ersten Aufsatz im Prestel-Kunstband, verfasst vom Herausgeber Wilhelm Vossenkuhl:

„‚Welt entwerfen’ bedeutet, sich über das Zusammenspiel der vielen sperrigen Faktoren Gebrauchsfähigkeit, technische Perfektion und Innovation, ökologische Nachhaltigkeit, ökonomische Verwertbarkeit, anspruchsvolle und attraktive Form Gedanken zu machen und sie in einem Produkt auf den Punkt zu bringen. So wird jedes Produkt exemplarisch für ein Ganzes. Jedes so entworfene Exemplar wird zum Teil eines Ganzen, das es davor noch nicht gegeben hat. Das Ganze entsteht erst durch und im Entwerfen.“  

Ich stelle mir den Gebrauchswert von Piktogrammen vor. Sie schaffen Ordnung und Übersicht gerade in einem vielsprachigen Umfeld. In einem Olympia-Ort fing diese Art der Bildersprache spätestens ab den Spielen in Tokio 1964 an, wie ich aus einem kurzen Video-Beitrag erfuhr, der sich nur mit der Geschichte des Olympia-Design befasst.  Was viele Menschen aus der ganzen Welt richtig interpretieren sollen, muss gut durchdacht sein. Und da ein Piktogramm allein wenig Gebrauchswert hätte, müssen die Bildzeichen als Ganzes überzeugen, also nicht nur die dargestellten Sportarten, sondern auch der Verweis auf wichtige Dienstleistungen und Anlaufstellen. Näheres dazu hat der Designer Marc Holt für die bereits erwähnte Homepage geschrieben und zahlreiche aufschlussreiche Dokumente aufgeführt.

Ein weiterer zentraler Gedanke betrifft die Farbwahl: Aicher setzte bei seiner Arbeit für das ZDF auf ein „Farbklima“ anstatt auf ein „Farbprofil“, wie aus dem reich bebilderten Online-Artikel des Verlegers und Kommunikationsdesigners Jens Müller hervorgeht. Damit wird auch das breite Angebot an Sendungen gewürdigt.  Standards gelten, doch nicht in strenger Einheitlichkeit, wie Müller schreibt:  

Entsprechend wurde die Schrift mit ihren vier Schnitten zum zentralen Gestaltungselement der neuen Identität. Sie kam bei sämtlichen Bildschirmanwendungen zum Einsatz und fungierte gleichzeitig als prägende Displayschrift bei Drucksachen und Beschriftungen. Nahezu drei Jahrzehnte war sie im Einsatz und gehörte damit zu den ersten Beispielen von wirklich konsequent und medienübergreifend eingesetzter „Corporate Typography“.

Faszinierend, dass grafisch für die leicht abgerundete Mattscheibe und nicht für das Papier optimiert wurde.  Subtil gab es also einen Zusammenhang zwischen der heute-Sendung und dem Aktuellen Sportstudio, auch wenn die Studiokulisse auf den ersten Blick eher Unterschiede als Gemeinsamkeiten offenbarten. Und doch wird jedem treuen Fernsehzuschauer das Signet der beiden Sendungen geholfen haben, diese sofort zu identifizieren, unabhängig davon, wer gerade moderierte.

Otl Aicher hat also die Design-Geschichte in (West-)Deutschland geprägt. Nicht zu vergessen ist, dass er auch das Erscheinungsbild von Unternehmen (mit-)gestaltet hat, wie zum Beispiel der Lufthansa, deren Logo er mit dem Kreis rund um den Kranich entscheidend veränderte. Und das Sparkassen-S stammt auch von ihm!  Im Online-Beitrag von Dagmar Rinker erfährt man zudem auch, dass Aicher dezidiert einen Artikel mit dem Titel „erscheinungsbild“ aus dem Sterbejahr 1991 verfasste. Rinker zitiert dessen Begriffsbestimmung: Der Schlüsselbegriff meine eine „form des vorstellungsbildes, seine konkretisierung in gebärden, verhalten, haltungen, profilen, linien, stilen, in farben und figuren, in handlungen und leistungen, in produkten und objekten.“

Ganzheitliches Denken heißt hier das Stichwort. An diesem Zitat wird indirekt deutlich, dass Aicher an philosophischen und moralischen Prinzipien während seines Schaffens sehr interessiert war. Kein Wunder also, dass Unternehmen und Philosophie wortschöpferisch zusammengefunden haben. Immer wenn ich Zukunft an Unternehmensphilosophie denke, wird mir Otl Aichers Schaffen über den Gedanken-Weg laufen!

Der erwähnte Aufsatz von Wilhelm Vossenkuhl heißt „Denken und Machen“; das Zitat steht auf der Seite 20 des Prestel-Kunstbandes mit dem Titel Otl Aicher. Designer. Typograf.Denker . Weitere sehr interessante Informationen zu Otl Aichers Biografie sind in einem Feature des Bayrischen Rundfunks enthalten. Herzlichen Dank auch an Frau Dr. Susanne Conzen, die die Aicher-Ausstellung in Lüdenscheid kuratierte und sie aufschlussreich mit dem Schaffen von Gerd Arntz (1900-1988) kombinierte, der schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine „piktogrammartige Figurensprache“ schuf.

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