Im September 2012 wurde ich am Bahnhof Kinding rechtens aus einem Regionalexpress geworfen. Der Grund war ganz simpel: Es fehlte der Fahrradwagen, so dass mein Drahtesel im Wege stand und damit der Sicherheit an Bord nicht zuträglich war. Mein Ticket (Fahrradtransfer inklusive) half hier auch nicht weiter. Pech gehabt! Der schnellste RE Deutschlands, auf einer ICE-Schnellstrecke unterwegs, erwies sich an diesem Tag als vollkommen unbrauchbar für mich!
Mein Ziel Ingolstadt habe ich schließlich ohne Probleme erreicht: Wie gut, dass wie gerufen am Bahnhof eine gut 80-jährige Frau mit ihrem Kleinwagen stand und mich sehr freundlich das Altmühltal hoch bis nach Denkendorf mitnahm. Von dort war es nicht mehr weit bis zum Ziel. Eine wirklich ganz besondere und daher auch unvergessliche Hilfestellung, gerade mit meinem Fahrrad, der den Kofferraum und die Rückbank gut ausfüllte.

Mitte Mai diesen Jahres musste ich wieder an diese Begebenheit denken, als ich einen Artikel in der Freien Presse las (Zwickauer Ausgabe vom 14. Mai 2024), in dem „fünf typische Szenarien beim Reisen mit Fahrrad“ aufgeführt waren, die din unserem Alltag allesamt realistisch sind. Ob es dann noch „Szenarien“ sind, die ja vom Begriff her auf eine schwer vorherbare Zukunft verweisen sollten?? Jedenfalls ist in der Folge die Rede von Szenen, was besser klingt.

Eine fehlende Anstellmöglichkeit für Fahrräder wurde nicht erwähnt, weil die meisten Regionalbahnen heute über eine recht begrenzte Anzahl von Fahrradstellplätzen im Großraumbereich am Zuganfang oder am Zugende verfügen. Szene 3 und Szene 4 passen jedoch gut in die Kategorie Kapazitätsmangel. Die Autorin Hanna Gersmann gab sich Mühe, diese auch möglichst lebendig zu formulieren:


Ein schöner sommerlicher Sonntag, warum nicht einen Ausflug ins Grüne unternehmen? Das dachten sich viele, nun stehen Menschen ratlos vor dem Zug. Alle Abstellplätze für Räder sind bereits belegt.


Hier haben wir die passive, langweiligere Variante, wenn es um die nicht vorhandene „Mitnahmegarantie“ geht. Deutlich spannender ist die 4. Szene, die aber im Grund auf das gleiche Phänomen hinausläuft: „‚Los, jetzt lassen Sie mich doch rein, das passt doch noch’: Jemand fängt an zu drängeln und zu schieben“.

Während die Szene 3 besonders die Reservierungspflicht für Fahrräder in Fernzügen thematisiert, die nicht online möglich ist, geht die Szene 4 auf die teilweise ausgewiesene „Maximalanzahl mitzunehmender Räder“ ein-
Dass David Koßmann als Experte vom Branchennetzwerk Pressedienst Fahrrad zitiert wird, zeigt, dass man auch hier Tipps gut gebraucht kann. Koßmann verweist in Szene 3 auf „Übersichtsseiten, welche Züge an welchen Wochentagen als überlastet gelten“. In Szene 4 rät er, zum Platzsparen „Fahrräder möglichst eng, versetzt oder mit entgegengesetzten Lenkern abzustellen“.

Es gibt in meinen Augen zwei unterschiedliche Perspektiven auf das Thema: Entweder man probiert den Radtransport gar nicht erst aus, weil einfach nicht zu viel Unwägbarkeiten drohen; oder man nimmt sein Rad einfach mit, in der Annahme, dass die Mitnahme meist problemlos möglich ist.
Nach meiner Erfahrung ist das auch so. Natürlich kann es manchmal hektisch werden (vgl. Szene 1), wenn das Radabteil nicht dort ist, wo man es erwartet, zum Beispiel am vorderen Ende des Zuges. Es handelt sich hierbei allerdings nur um ein paar Sekunden, die erhöhte Aufmerksamkeit erfordern. Leider ist die Regelung bei Zusatztickets für Fahrräder sehr uneinheitlich geregelt (vgl. Szene 2). Es hängt vom Verkehrsverbund und teilweise auch vom Eisenbahnunternehmen ab, ob Räder gratis mitgenommen werden können: Während beispielsweise die Mitteldeutsche Regiobahn (MRB) innerhalb eines Verkehrsverbundes Räder kostenlos befördert, ist das bei der S-Bahn Mitteldeutschland nicht der Fall. Und dass Tandems oder Liegeräder nicht genommen werden dürfen (vgl. Szene 5), ist nicht überraschend. Wie so oft ist das Kleingedruckte hier alles andere als unwichtig.

Seit den frühen 2000er Jahren hatte ich kaum Probleme mit dem Radtransport im Bahnsystem. Der geschilderte Zwischenfall blieb bisher einmalig. Erfahrungswerte sind oftmals buchstäblich wertvoller als Empfehlungen , die nur im Optimalfall wirklich helfen, selbst wenn sie gut gemeint sind. Unwägbarkeiten gehören einfach dazu. Und manchmal hilft einfach der gesunder Menschenverstand: Wenn mal ein Engpass vorliegen sollte, dann wird sich auch daraus wieder eine neue Erfahrung herausgeschält haben, die in eine erzählreife Szene passen könnte. Im Zweifelfall sollte der Lebensoptimismus die Oberhand behalten!

In der Chemnitzer Ausgabe der Freien Presse erschien der Artikel bereits am 11.05.24 (Seite 24).