Wenn man einen Deutschkurs mit der etwas sperrigen Bezeichnung „Marketing unter interlingualem Aspekt“ unterrichtet, dann sollten sprachliche Finessen unter die Lupe genommen werden. Im Dezember 2022 beschäftigte ich mich im Kurs mit dem Auftritt der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in den Sozialen Medien. Mir waren schon vorher Plakate an Berliner Haltestellen aufgefallen, die großen Wert auf das Spiel mit der Sprache legen. Und eine längere Recherche auf Instagram bestätigte dies. Besonders ausführlich kam folgendes Plakat zur Geltung, das angeblich ein ungestelltes Foto aus dem Jahr 2013 enthielt. Es kursierte danach auch im Internet (spätestens seit Januar 2015 auf einem tumblr-Fotoblog zu Berlin) und wurde am 18.01.2016 von der BVG auf Facebook mit dem Kommentar „Schon wieder Fashion Week. Da tragen wir doch einfach noch mal die alten Plakate auf.“ hochgeladen:
Das Plakat setzt geschickt Bild und Text aus dem realen Leben in Szene und regt zum Schmunzeln an, da der ungewöhnliche Ausdruck „den Stil hochfahren“ auf einen wohl älteren Herren trifft, der zum einen wortwörtlich eine Rolltreppe in einer Berliner U-Bahnstation der U1 (vermutlich Nollendorfplatz) hochfährt und – ästhetisch gesehen – als ungewollte Werbe-Figur herhält. Seine sommerliche Kleidung vermittelt einen casual look, der ins Auge sticht. Wer sich für Mode interessiert, wird das Stechen aufgrund des ausgereizten Karo- Formspektrums von Hemd und Shorts zusammen mit den weißen Strümpfen unangenehmer und intensiver empfinden als jemand, der auf praktische Freizeitkleidung steht. Insofern könnte man gut das „Hochfahren“ als Vorschlag deuten, die Fashion Week zum Anlass für etwas stylishere, höherwertigere Kleidung zu nehmen, die sich auch für höhere Anlässe eignen. Auf jeden Fall wird hier ein kommunikativer Zusammenhang zwischen einem öffentlichen Verkehrsmittel, einem Fahrgast und einer Veranstaltung hergestellt, denn natürlich ist es denkbar (wenngleich nicht gerade wahrscheinlich), dass die abgebildete Person die halbjährlich stattfindende Fashion Week besuchen möchte. In diesem Kontext ließe sich auch der augenscheinliche Fahrgast in ein positives Licht rücken, denn er nutzt die öffentlichen Verkehrsmittel in einem lässigen, luftigen Look – und die Verbindung zur Fashion Show evoziert einen aktiven „Lifestyle“. Dieser wohlwollende Ansatz stammt von mehreren Studenten aus meinem Marketing-Seminar aus China / Taiwan, von denen einer seine Gedanken auch schriftlich festhielt. Ich zitiere:
Die ersten Gedanken, wenn man an den Begriff „Fashion“ denkt, sind für viele Menschen Bekleidung und damit in Verbindung die jüngere Generation. Fashion befasst sich jedoch nicht nur mit Bekleidung, sondern auch mit einem Lebensgefühl und -stil, dem sogenannten Lifestyle. Sich wieder jung und modisch zu fühlen, bedeutet nicht, dass man sich sehr schick oder trendbewusst anziehen muss. Die ältere Generation hat ebenfalls die Möglichkeit an diesem Trend teilzunehmen und sich wieder jung zu fühlen, indem sie wie früher mit der Bahn fährt.
Diese Deutung ist sicher ebenfalls im Sinne der BVG und auch des Veranstalters der Fashion Show – Stichwort Zielgruppenerweiterung. Darauf komme ich noch einmal zurück.
Spielerisch-ironisch ist auch ein Instagram-Post vom 13.10.2022 anlässlich eines Backstreet-Boys-Konzerts gemeint, bei dem man ja auch von einer Show sprechen kann. Die BVG kommentiert ihn folgendermaßen: „Für alle, die es nicht kennen: Das sind die Elevator Boys der 90er.”
So mancher Boygroup-Fan könnte hier sicher die Rolle des Telefonjokers übernehmen, der alle Songtitel korrekt nennen kann. Bis auf den letzten Titel hatte ich alle parat – natürlich kein großes Kunststück, wenn man die 90er Jahre als Teenager erlebt hat (und ich bislang die Elevator Boys überhaupt nicht kannte). Da ich oft mit der U5 fahre, ist natürlich für mich die Verballhornung des Titels Larger than life großartig, wenn man bei englischer Aussprache sich einen Reim aus „life” und „U5” macht! Die deutsche Übersetzung von „get down” ist in Verbindung „You’re the one for me” im Original bzw. „the Maskenpflicht’s still around” überhaupt nicht trivial: dank von Nachschlagehilfen fände ich die Übersetzung „Merke Dir!” nicht schlecht (im Original-Refrain heißt es „and move it all around”). Diese Bedeutung war mir zuvor unbekannt.
Ein weiterer, sehr auffälliger Instagram-Post, ebenfalls aus dem Oktober 2022, wirbt mit dem 29-Euro-Ticket, indem es ganz auf Jugendsprache setzt:
Ich gebe zu, dass ich hier ohne weitere Informationen chancenlos wäre und delegiere eine gute Übersetzung dem kreativen Leser, der auch mehr mit gommemode (super stark) bzw. flexen (mit seinem Verhalten angeben) und smashen (eine intime Beziehung eingehen) etwas anzufangen weiß. Nun kann keiner sich mehr darüber beklagen, dass gewisse sprachliche Register nicht bedient würden. Aus dem BVG-Kommentar wird diese sprachliche Stilblüte bewusst ironisch verzerrt: „Unser Arbeitskreis BVG 30+ präsentiert seine neueste Arbeit zum Thema ‚Tagesaktuelle Zielgruppen-erweiterungsmaßnahmen’”. 30+? Die (An-)Sprache soll für die gedacht sein, die noch die 1990er Jahre erlebt haben??
Kompliment an die Kreativität der Werbetreibenden, die hier Plakatkunst in die virtuelle Welt verlagern. Hierfür brauchen wir in Zukunft keine Museen, wohl aber gut gesicherte digitale Archive, damit wir noch 2030 und später wissen, dass 2022 smashen (Smash ist das Jugendwort des Jahres 2022!) und cringe (peinlich) als Jugendwort 2021 salonfähig geworden sind!
Die BVG-Imagekampagne Weil wir Dich lieben wurde von der Agentur GUD.berlin GmbH entwickelt und läuft seit 2015. Sie ist ein gutes Beispiel für das sogenannte Content Marketing.