Ende November hatte ich das Vergnügen, zum wiederholten Mal einen Künstler in seinem Atelier in der Nähe des sächsischen Waldenburg aufzusuchen, der durch seine Lebensgeschichte und seine Gemälde mich stets im positiven Sinne herausfordert. Frithjof Herrmann ist in einschlägigen Kreisen kein Unbekannter – zumindest nicht im Umkreis seiner Geburtsstadt Zwickau. Ich lernte sein Werk in einer Ausstellung in Meerane bei Glauchau kennen und war sofort von seinen Farbkompositionen in den Bann gezogen. An weiterführenden Schulen hat er sein künstlerisches Wissen über Jahrzehnte vermittelt; bis zum heutigen Tag unterrichtet er das eine oder andere junge Talent.
Nachfolgend geht es um ein einziges Wort, das Frithjof aussprach und in meinen Ohren klingelte. Im leicht sächsisch gefärbtem Dialekt hörte ich so etwas wie „fischilant“; nur wenige Augenblicke später sprach ich ihn auf das Wort an, das er als „vigilant“ bestätigte und es im Kontext sicher auch korrekt für seine Selbstbeschreibung verwendete. Es war mir noch nie im Deutschen zu Ohren gekommen; dank des Französischen, das es neben dem Englischen in gleicher Schreibweise kennt, war mir klar, was er meinte. Nur dachte Frithjof, dass das Wort (weiterhin) recht geläufig sei. Da musste ich Zweifel anmelden. Und siehe da: Der Zusatz „veraltet“ wird bei wortbedeutung.info der Worterklärung vorangestellt. Als vigilant gilt bzw. galt jemand, der „eine hohe Intelligenz mit scharfem Verstand“ aufweist. Auf Frithjof Herrmann trifft das zu, denn er hat sein langes Leben auch dank dieser Eigenschaft eindrucksvoll gemeistert. Im Englischen und Französischen ist die Bedeutung etwas anders: Hier geht es darum, „mit Sorge und Hingabe“ auf etwas zu achten. Das trifft auch auf meine Erfahrungen mit diesem Wort in Frankreich zu: „Restez vigilants!“ kann man leicht mit „Bleiben Sie wachsam!“ übersetzen. Hierfür sollte man selbst Sorge tragen; mit Scharfsinn hat das weniger zu tun.
Seit den 1970er Jahren ist in unserem Nachbarland der „Plan Vigipirate“ in Kraft. Durch Museums- und Theaterbesuche ist mir der Begriff seit den 2000er Jahren vertraut, obwohl ich die eigentliche Bedeutung bislang nie recherchiert hatte. Ich muss dabei stets an einen Piraten denken, auch wenn, wie ich kürzlich erfuhr, der Begriff ein vollständiges Akronym ist. „Vigi“ steht dabei für „vigilance“ (Wachsamkeit) und „pirate“ für „protection des installations contre les risques d’attentats terroristes à l’explosif“. Hier wird deutlich, dass das Französische auch bei sehr ernst zu nehmenden politischen Maßnahmen quasi spielerisch mit Sprache umgeht. Denn es liegt auf der Hand, dass sich gedanklich der Angesprochene wachsam gegen Piraten verhalten sollte, auch wenn der Piratenbegriff eigentlich für Straftäter auf hoher See vorbehalten ist, wo nicht schnell staatliche Gewalt eingreifen kann. Würde man in Deutschland nicht lang darüber diskutieren, ob hier nicht Missverständnisse zu erwarten seien? Man könnte ja auch denken, dass man selbst zum Piraten wird – seit dem Aufkommen der Piratenpartei in den 2010er Jahren liegt dies nicht ausschließlich im Bereich der Fantasie. Übrigens wird der Begriff „Vigilanz“ im Deutschen in der Neurologie verwendet und bezeichnet einen Zustand der Wachheit bzw. Aufmerksamkeit, mit der der Mensch gewisse Leistungen absolvieren kann. Sowohl Wachsamkeit als auch Scharfsinnigkeit kommen hier als menschliche Grundfähigkeiten ins Spiel.
Auch die Bibel erinnert uns öfter an unsre Wachsamkeit, am prominentesten im 24. Kapitel des Matthäus-Evangeliums:
Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht.
Dieses Gleichnis vom „wachsamen Hausherrn“ appelliert an das, was Frithjof Herrmann als „vigilant“ bezeichnete. Man weiß ebenso wenig vorher, wann die Gefahren lauern und wann Christus uns begegnet. Man könnte sogar sagen: „Im Begriff der Wachsamkeit sind alle moralischen Einzelforderungen zusammengefasst.“ Jedenfalls hat mich wachsames Zuhören zu diesem Artikel geführt, der ohne das Schlüssel-Wort aus dem Mund eines „vigilanten“ Künstlers nicht entstanden wäre…
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