Wer sich auf einen Besuch des Lügenmuseums einlässt, der schließt von Beginn an einen Pakt mit der Lüge. Er verinnerlicht sie quasi, denn zur Begrüßung wird dem Besucher vom Museumsleiter Reinhard Zabka „Lügentee“ nach einem vermeintlichen Rezept der heiligen Hildegard von Bingen serviert. So ein Unfug, gerade zusammen mit einem Reim, der aus einem Schwank stammen könnte! Da fehlte nur noch eine bühnenreife Vertonung.
Untergebracht in einem ehemaligen Gasthof kann einen das Museum eigentlich kalt lassen. Denn das Inventar ist ein zusammengestoppeltes Sammelsurium, wo es mal scheppert und quietscht und mal ruhig ist, je nach Art des Ausstellungsstücks. Es dürfte klar sein, dass man es mit keinerlei Kunstwerken (oder in moderner Diktion vielleicht doch??) zu tun hat. Man bekommt lediglich vorgeführt, wie man Fake produzieren kann. Zum Glück habe ich wenig für das Gezeigte übrig, da es mich nicht in den Bann ziehen kann. Manchmal scheint bei einem Objekt eine gewisse verlogene Ideologie durch, mal sind es nur Bezüge auf Künstler und historische Figuren, denen man einfach nicht glauben kann und mag. Es sind sozusagen Anekdoten, die vom Wahrheitsgehalt her sowieso halbseiden sind, um es mal gewagt auszudrücken. Neben den Objekten sind auch die Worte zusammengeschustert, bis die Schwarte kracht.
Am Ende des Besuchs kommt es zu einer unerhörten Begebenheit. Bei der Betrachtung eines wohl authentischen DDR-Comics für Grundschüler mit dem prägnanten Titel „In Lügenwerda“ taucht auf einmal auf der Glasplatte das Sandmännchen auf. Ich kann es nicht fassen! Denn ich kann die Figur nicht leicht in der Realität lokalisieren:
Es hat den Anschein einer fragwürdigen Spiegelung, die natürlich nichts mit einer Fata Morgana zu tun hat. Auch eine Installation kann es nicht sein. Ich werde im wahrsten Sinne des Wortes während der Betrachtung einer putzigen DDR-Ferienlektüre von einer wahrhaftigen Figur des DDR-Fernsehens heimgesucht, die ich so überhaupt nicht leibhaftig erlebt habe. Was ist denn da bloß passiert? Für mich ist dieses Erlebnis zweifelsohne der Höhepunkt einer dünnen Ausbeute. Liegt es daran, dass ich mich im Museumsabschnitt „Kathedrale des Sozialismus“ befinde und in weltlicher Manier auf eine andere Lebensstufe erhöht werde? Im Nachgang muss ich natürlich schmunzeln, denn die Sätze „Jaqueline badete mit einem Meerschweinchen“ und „Achim unterhält sich mit einem Ohrwurm“ im Rücken des Sandmännchens würde ich gerne eines Tages auch mal einem Kind vorlesen und dabei auf die heiter verlogenen Comic-Bildchen zeigen. Hier werden tatsächlich sprachlich-spielerisch Lüge und Wahrheit so dargestellt, dass verständlich wird, warum bereits simple Sätze Fiktion und damit Erfindung und Lüge enthalten. Eine Welt ohne Lüge ist einfach undenkbar. Das Lügenmuseum tischt das gehörig auf: Es hat alles den Anschein von Junk Food, von dem man eigentlich die Finger lassen sollte. Geringe Dosen davon können der Seele hin und wieder guttun. Der „Lügenwerda“-Comic mit der Sandmännchen-Erscheinung erzählt im wahrsten Sinne des Wortes davon.
Und wer sich jetzt weiterbilden möchte, dem sei das Hygiene-Museum in Dresden mit seiner neuen Ausstellung „Fake. Die ganze Wahrheit“ sehr empfohlen. Und wer so wie ich mal wirklich Grund zum Lästern haben möchte, der möge doch unbedingt vor den Toren der Barockstadt das Lügenmuseum im Radebeuler Ortsteil Serkowitz aufsuchen. Auf der Homepage gibt es auch einen halbstündigen Film von Marco Borowski zur Entstehung des Museums. Auf der Seite „So geht sächsisch“ ist das Museum übrigens auch aufgeführt. Zum Schluss sei noch ein Online-Artikel aus der Sächsischen Zeitung über Reinhard Zabkas künstlerisches Anliegen und ein aktueller Artikel zur Zukunft des Museums in Radebeul empfohlen.
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