Wenn Kunstwerke rezensiert werden, sollte es sich um eine kritische Begutachtung des Gelesenen oder Angeschauten handeln. Mit Zensieren hat das zum Glück nichts zu tun. Wie sieht es mit Skulpturen aus, die sich nicht so leicht einer Bewertung fügen, weil sie eben nicht narrativ in Szene gesetzt werden, sondern sich im Auge des Betrachters selbst etwas fügen bzw. etwas ereignen muss, damit sie Aufmerksamkeit erhalten und mehr als nur flüchtig wahrgenommen werden?
Als ich Mitte November 2020 zufällig in der Freien Presse vom Negativpreis Sachsenschleuder las, war mir klar, dass ich schon aufgrund des Artikelnamens
„Lebensfragen im Schleudergang“ darüber schreiben wollte. Dass der Bund der Steuerzahler es als Dorn im Auge empfindet, wenn die öffentliche Hand sperrige Skulpturen direkt oder indirekt mit Zuschüssen fördert, kann ich verstehen. Allerdings offenbart sich mir der Mehrwert nicht, wenn der Bund der Steuerzahler Sachsen ein von Fachleuten für förderungswürdig empfundenes Kunstwerk erneut bewerten lässt. Angeblich haben 1400 Teilnehmern an der Onlineumfrage teilgenommen, für die eine Vorauswahl von einer „Jury aus Vereinsmitgliedern“ erfolgt war. Der mit der Aussage „Uns geht es darum, wie nachhaltig diese Kunstwerke sind“ zitierte Vereinspräsident Thomas Meyer benutzt ein hier irreführendes Eigenschaftswort: Nachhaltigkeit lässt sich mit Kunst nur schwer vereinen. Man stelle sich vor, man würde zu einer Podiumsdiskussion zu diesem Thema einladen. Würde dann nur Kunst gelobt, die noch mehr als einem Jahrzehnt frisch und unverbraucht wirkt, in etwa so wie ein gekauftes Produkt? Würde man da nicht sofort an Wegwerfartikel denken? Sind nach wenigen Wochen abgebaute Kunstwerke im Freien per se nicht nachhaltig? Die Hauptsache ist doch, dass sie nachhallen!! Nun gut, ich kann mir gut vorstellen, dass viele Menschen ein versenktes Auto im (Schloss)-Teich als „Schleudersachsen“ betiteln würden, wenn man ohne Zugang zu dieser Installation einfach nur den Kopf schüttelt. Die Botschaft des Skeptikers ist klar: Meyer möchte „hinterfragen, wofür Geld ausgegeben wird“. Doch das Hinterfragen funktioniert nur, wenn man sich nachhaltig mit der inhaltlichen Botschaft von (Kunst-)Objekten beschäftigt.
Das im Chemnitzer Schlossteich versenkte Auto, für das sich der Schweizer Künstler Roman Signer verantwortlich zeigte, ist sicher keine alltägliche Installation. Von einer klassischen Skulptur kann hier nicht die Rede sein, da hier nichts Stabiles im Raum vorliegt. Das kann auch nicht die Absicht sein, wenn ein Künstler die Bewegung von Objekten dokumentieren will. Man kann natürlich über den künstlerischen Wert eines solchen Autos streiten, doch soll Kunst nicht bereits hinsichtlich des Geschaffenen zur Debatte anregen? Die Installation ist ja auch in zwei Kontexten zu sehen: zu einen als Beitrag zur „Gegenwarten-Ausstellung“, zum anderen als Beitrag zur Bewerbung um die Kulturhauptstadt Chemnitz 2025. Da der Zuschlag an Chemnitz ging, können die Kunstwerke nicht deplatziert gewesen sein.
Die Berichterstattung in der lokalen Presse offenbart schonungslos, wie diese Debatte umgangen wird und man sich inhaltlich bloß am schnöden Geld aufhängt. Andere Kunstwerke, die eine stundenlange Betrachtung erforderten, könnten nicht so abqualifiziert werden wie Installationen im öffentlichen Raum, denn sie laden zur Abkanzelung förmlich ein. Ein besseres Beispiel für Ungerechtigkeit im Bewertungsprozess mag mir nicht einfallen. So wird die (vermeintliche) Posse ersten Grades, nämlich das Kunstwerk, zu einer unfreiwilligen Diskurs-Posse. Man könnte auch sagen: zu einer Posse zweiten Grades.
Natürlich werden in der Freien Presse auch die Gegenstimmen benannt, in denen es zusammen mit anderen Arbeiten um einen „Imagegewinn“ für die Stadt geht, so wie es der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Chemnitz, Frédéric Bußmann, ausdrückt und im gleichen Atemzug auf die mangelnde Kompetenz des Steuerzahlerbundes in puncto Urteilsbildung hinweist.
Ein Großteil der 880.000 Euro Budget stammt aus Steuergeldern. Wenn die 20 Künstler je 20000 Euro bekommen haben, dann ist die einzelne Skulptur sicher keine überteuerte Investition gewesen. Verschwendung sieht anders aus. Die Behauptung, man hätte es auch günstiger bekommen können, läuft hier anders als manch andere Steuerverschwendung ins Leere.
Gut finde ich, dass schließlich die Chemnitzer Künstlerin und Wahl-Düsseldorferin Carolin Israel dem Bund der Steuerzahler Sachsen geschrieben hat, um die „Polemik“ und die fehlenden objektiven Informationen „für eine faire Bewertung“ kritisch zu kommentieren. Bei dieser Notiz frage ich mich, ob nicht irgendwann eine Offline-Umfrage am Schlossteich stattgefunden hat. Wo kommen die kunstinteressierten Schaulustigen zur Sprache, die wirklich Lust am Hinschauen haben? Für diese Menschen muss es auch in der (Freien) Presse einen Platz geben.
Immerhin gibt es in der Lokalpresse den bereits erwähnten längeren Hintergrundartikel von Katharina Leuoth. Hier wird das Pro und Contra Steuerverschwendung bei Kunstinvestitionen einmal mehr entfaltet. Zwei neu eingebrachte Argumente finde ich hier am treffendsten. Die Leiterin der sich auf zeitgenössische Kunst spezialisierten Leipziger G2-Kunsthalle, Anka Ziefer, wird folgendermaßen zitiert: „Der Knackpunkt ist, dass Gesellschaften heute sehr divers sind und die Demokratien ausgehalten werden muss, dass unterschiedlichste Interessen gefördert werden.“ Um „Aufmerksamkeit und Renommee“ zu erhalten, reiche es auch nicht aus, einfach nur „handwerklich gut gemalte Bilder oder althergebrachte Skulpturen“ zu präsentieren. Dass ein versenktes Auto auf viele Debatten in unserer Zeit verweist, wird mir sofort klar. Glücklicherweise hat Ziefer ein paar Erklärungshinweise dazu geliefert, so dass ein gewisser künstlerischer Aussagewert von Signers Installation hervorscheinen konnte. Die Devise lautet: Man muss am Ort des Geschehens gewesen sein, sonst kann man nur den Diskurs über das Kunstwerk bewerten, nicht das Kunstwerk selber. Und dieser Diskurs ist leider zu sehr von monetären Aspekten geprägt und zu wenig von inhaltlichen. Wer gar nicht zur Wort kommt, ist der Künstler selbst. An seiner Stelle hätte ich einfach nur über die Debattenkultur müde gelächelt. Lebensfragen können im Schleudergang natürlich nicht beantwortet werden.
Ein besseres Fazit als von der freien Kuratorin Juliane von Herz kann man kaum finden, wie es neulich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen war: „Das ist Kunst im öffentlichen Raum: Menschen stoßen auf ihre Werke, stoßen sich vielleicht an ihnen, reden über sie, twittern, empören sich, oder sie pilgern zu ihnen, weil man sie erlebt oder gesehen haben sollte. Kunst in der Stadt ist mehr als nur ihre bloße Präsentation.“
Ich beziehe mich auf die Artikel aus der Freien Presse vom 10.11.2020 („Kunst oder Verschwendung? Negativpreis für Tauch-Auto“, S. 9); 17.11.2020 („Lebensfragen im Schleudergang“, S.1) und 23.11.2020 („Künstlerin schreibt Steuerzahlerbund“, S.7) sowie auf den FAZ-Artikel vom 07.04.21 („Die Stille ist einfach zu laut”, S. 14.) Die Seitenzahlen aus der Freien Presse beziehen sich auf die Ausgaben der „Chemnitzer Zeitung“. Das abgetauchte Auto, dass leider auch Opfer von Vandalismus wurde, ist zusammen mit meist abwertenden Kommentaren in der Kurzberichterstattung des mdr zu sehen.
Ein sehr aufschlussreiche kurze Dokumentation zum Künstler Roman Signer und zu seinen „Action-Skulpturen“ findet sich bei Arte Tracks.
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