Stillleben haben auf den ersten Blick nichts Lebhaftes. In den meisten romanischen Sprachen ist bei dieser Genrebezeichnung sogar der Tod präsent, denn eine „nature morte“, wie es im Französischen heißt, verweist auf das Abgestorbene. Es liegt deswegen nahe, diese jahrhundertealte Tradition von Stillleben ein wenig zu dynamisieren und ihr etwas Lebendiges einzuhauchen. Kräftige Farben von Blüten reichen da nicht aus. Etwas Neuwertiges gehört vielmehr dazu, das geradezu magisch einen „move“ beim Betrachter erzeugt. Die Magie ist dann geschaffen, wenn die Dinge scheinbar in Fahrt kommen bzw. an Fahrt gewinnen.
Die aus Arnhem (Arnheim) stammende Fotografien Louise de Poele schafft dies mit verblüffenden fotografisch festgehaltenen Arrangements, wo Medium und Objekte eine Fusion eingehen. Ich habe den Eindruck, dass das Medium Fotografie diese Arrangements optimal vermittelt, auch wenn digitale Arrangements eigentlich keine Kamera mehr benötigen. Das Phänomen der Belichtung ist jedenfalls etwas, was über das Foto die visuelle Wahrnehmung erweitert und quasi wie in einem Brennglas die Augen schärft. Die Gegenstände sind auf einer flachen Oberfläche gebannt, ohne die dreidimensionale Wirkung zu verlieren.
In der Orangerie in Gera waren diesen Sommer einige Fotos der niederländischen Künstlerin unweit von Bildern zu sehen, die den magischen Realismus repräsentieren und von Landsleuten der Künstlerin in den letzten gut 100 Jahren gemalt wurden. Insofern war der Ausstellungsbesucher gut vorbereitet und hatte bereits ein geschärftes Auge, denn Louise te Poele aktualisiert das Magische, indem sie Dinge geschickt arrangiert und inszeniert:
Besonders hat mich die Fotografie „Borderlands“ angesprochen. Liegt es etwa an den Büchern? Die gesammelten Werke von William Shakespeare auf Niederländisch sind mit der elektronischen Lupe ebenso zu erkennen wie Meisterwerke der Bildenden Künste auf Französisch („Chefs d’Œuvre de l’Art“). Liegt es an den leuchtenden Farben der Blumen, die Lichtglanz zusammen mit den (halb-)transparenten Stoffen verbreiten? Liegt es an der Illusion der irisierenden Seifenblasen, die, wie wir wissen, nur eine sehr kurze Lebensdauer haben? Sind es überhaupt Seifenblasen oder eher doch Glaskugeln, die künstlich ins Bild eingefügt worden sind, ohne dass sie real als Gegenstände fungieren? Wie der ins Dunkel abtauchende florale Fisch am linken Bildrand – hier scheinen sich Flora und Fauna in einem Objekt zu begegnen – ergänzen sie das Arrangement, als ob sie dazugehörten. Den Anblick stört nichts.
Auch die teils drapierten Attrappen von Händen mit ihren Armansätzen sind Elemente von Körpersprache, nämlich von Gestik, und zeugen von etwas zutiefst Menschlichem, obwohl im Arrangement nur indirekte Hinweise auf das Menschsein zu finden sind. Gerade das Stoffliche, Modische, wirkt neben der partiellen Plastikverhüllung von Laborgegenständen – ganz eindeutig gibt sich ein länglicher Messbecher unter dem Gewand erkenntlich – bewusst kontrastiv, ohne verstörend zu sein. Der artifizielle Gegensatz passt hier buchstäblich ins Bild. Ebenso gilt dies für die eindeutigen Referenzen auf klassische Stillleben wie zum Beispiel ein Ei und eine Zitrusfrucht, die scheinbar sich wie von Geisterhand ihrer Schale entledigt, sowie für das zart glimmende Streichholzfeuer, teils auf Türmchen aus Würfelzucker.
Die mittigen Schleifen in den Farben Orange („oranje“ ist unabhängig von den Farben der Flagge die wahrhaftige Landesfarbe in den Niederlanden und erinnert stets an die Oranier) und Schwarz-Rot-Gold verweisen auf das Grenzgebiet zwischen den Niederlanden und Deutschland, ohne dass eine politische Intention sichtbar wird. Man könnte außerdem über die flämische Tradition der Stillleben philosophieren, doch das drängt sich nicht auf. Die teils frischen, teils verblühten Pflanzen erinnern einfach an Arbeiten aus der frühen Neuzeit, die drei weidenden Miniaturkühe an den grenznahen Niederrhein, der auf niederländische Seite durch die Provinz Gelderland fließt.
Der künstlerische Wert liegt auf Übergangsbereichen, die ja auch zur Grenze gehören, denn keine Landesgrenze wäre ohne Grenzübergang denkbar. Louise te Poele erweitert hier die Bedeutung von Grenzgebieten, da jede Wahrnehmung Grenzen braucht und gleichzeitig hinterfragt. Wo wird getrennt, visuell und begrifflich? Wann gilt ein Objekt als solches und wann ist es etwas anderes? Solche Fragen werden in „Borderlands“ wie mit Zauberhand angegangen. Ein Grund, länger über Louise te Poeles zauberhafte Arrangements nachzudenken.
Mehr über Louise te Poele ist auf ihrer Homepage zu entdecken. Der einzige brauchbare, im Internet auffindbare Artikel zu Louise te Poeles Ausstellung in Gera ist in der Thüringer Allgemeinen erschienen.
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